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     © Joachim Noller 2015/2016

 

 

 

Du sollst Dir kein Bild machen

Teil II :

Paradoxien sakraler Kunst

 

 

Joachim Noller

 

Du sollst Dir kein Bild machen

Teil II :

Paradoxien sakraler Kunst [1]

 

Das sogenannte Bilderverbot der monotheistischen Religionen ist Teil einer Bilderfrage, die nichts an Aktualität verloren hat und über den inneren Zirkel der genannten Religionen weit hinausgeht. Die Frage, was darf dargestellt werden, ist eng verknüpft mit der Frage, was kann dargestellt werden, und mit der Befürchtung, dass falsche Bilder (falsch in Bezug auf eine der Überzeugung zuwiderlaufende Referenz) gezeichnet werden könnten. Die vergeistigte Gottesvorstellung des Judentums lässt sich mit den alten Idolen anthropomorpher Gestalt nicht mehr darstellen. Dies mag auch auf andere visuelle Formen zutreffen, die in den Tiefen unserer Geschichte sowie unseres Unterbewusstseins verankert sind, aber deren Welt-Bild, einst von ihnen repräsentiert, dem Menschen abhanden gekommen ist. Mit ein und demselben Bildelement werden im Laufe der Zeit verschiedene, möglicherweise konträre Ideen assoziiert.

Jedes Verbot, jede Frage und jeder Streit, Bildwerke betreffend, ist Teil komplexer kultureller (und nicht nur religiöser) Prozesse und sollte auch so behandelt werden. Dies findet aber im Allgemeinen nicht statt. Mit dem genannten Themenkomplex assoziiert man allzu voreilig wüste Formen des Ikonoklasmus, die Zerstörung von Denkmälern, die Intoleranz gegenüber dem Andersdenkenden. Das ist kurzschlüssig und doch nachvollziehbar angesichts aktueller Vorkommnisse (die medial entsprechend aufbereitet werden). Pädagogisch verheerend wirkt aber die von Vorurteilen getränkte Sichtweise vieler Wissenschaftler, die einer seriösen Erörterung der Bilderfrage aus dem Wege gehen[2]: man malt schwarz-weiß und behauptet mit Selbstverständlichkeit die Ikonophobie all derer, die bestimmten Bildformen skeptisch gegenüberstehen. Demnach würde die oppressive Haltung solcher Bilderfeinde den Freiheitsgeist der Bilderfreunde gefährden, wobei letzterer demokratischen Überzeugungen zu entsprechen scheint. Wo der liberale Zeitgeist herrscht, wirkt die Bilderfrage verstörend (auf der extremen Gegenseite sind allerdings Zerstörer am Werk, die überhaupt keine Frage zulassen).

 

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Wir versuchen, den transkulturellen Aspekt dieser Thematik - soweit es uns möglich ist - zur Geltung zu bringen und bedienen uns dafür der Exposition, mit der Mircea Eliade seine religionswissenschaftliche Abhandlung Das Heilige und das Profane. Das Wesen des Religiösen eröffnet. Hier begegnen uns zwei interessante Thesen:

These 1:

Eliade versucht die Eigenart von Hierophanien (Manifestationen des Heiligen) zu erfassen. „Indem er das Heilige offenbart, wird der Gegenstand zu etwas ‚ganz anderem‘ und bleibt doch weiterhin er selbst […]. Ein heiliger Stein bleibt nichtsdestoweniger ein Stein; scheinbar (genauer: von einem profanen Gesichtspunkt aus) unterscheidet ihn nichts von allen anderen Steinen. Für diejenigen aber, denen sich ein Stein als heilig offenbart, wird seine unmittelbare Realität in eine übernatürliche Realität verwandelt“. Insofern würde jede Hierophanie - so Eliade - ein Paradoxon darstellen[3].

These 2:

Der Mensch archaischer Gesellschaften sei bestrebt, „im Heiligen oder sehr nahe bei geweihten Gegenständen zu leben“. Für ihn sei „das Heilige soviel wie Kraft und letztlich Realität schlechthin. Das Heilige ist gesättigt an Sein. Heilige Kraft bedeutet Realität, Ewigkeit und Wirkungskraft in einem.“. Also sei begreiflich, dass der religiöse Mensch sich danach sehne, „zu sein, an der Realität teilzuhaben, sich zu sättigen mit Kraft“[4].

 

Zunächst zur ersten These, wonach jede Hierophanie ein Paradoxon darstellt. Eliade betreibt Religionswissenschaft und keine Ästhetik, also diskutiert er nicht die Rolle bildlicher Darstellungen. Doch auch in ihnen zeigt sich Heiliges, also stellen sie Hierophanien zweiten Grades dar. Wir erlauben uns, die ästhetische Fortsetzung dieses Gedankenwegs zu erkunden. Wenn wir also den heiligen Stein abbilden, bleibt uns dabei das Paradoxon erhalten?

„Von der elementarsten Hierophanie (etwa der Manifestation des Heiligen in irgendeinem Gegenstand, einem Stein oder einem Baum) bis zur höchsten Hierophanie (für einen Christen die Inkarnation Gottes in Jesus Christus) reicht eine ununterbrochene Kontinuität“[5]. Also ließe sich das Paradoxon zwischen natürlicher und übernatürlicher Funktion auch in der menschlich-göttlichen Doppelnatur Jesu Christi erkennen. Was aber ist davon darstellbar? Was geben Abbilder wieder, wenn sie vom natürlichen Körper und damit vom Sosein des physischen „Gegenstandes“ abstrahieren? Und besteht nicht die Eigenart der göttlichen Seite gerade in ihrer Verborgenheit, also in der Tatsache, dass sie sich nicht visualisiert? Möchte nicht manche Spielart sakraler Malerei der ganzen Paradoxie entkommen, indem sie das physische Sosein Christi nicht hinnimmt, es mit Verklärungsgesten anreichert, ohne damit der göttlichen Natur darstellerisch zu entsprechen. Und falls sich Eliades Paradoxon als Gesetzmäßigkeit des homo religiosus herausstellt: gäbe es dann eine Möglichkeit, derselben sinnfällig und künstlerisch zu entsprechen, d.h. wäre es möglich, die Paradoxie in bildlicher Form wiederzugeben?

Werfen wir nun einen Blick auf die zweite These, wonach der Mensch in der Nähe geweihter Gegenstände versucht, von deren Kraft und Seinsfülle zu profitieren. Auch hier können wir wieder die ununterbrochene Kontinuität verschiedener Manifestationsstufen sehen und gelangen so schließlich zu den Formen christlicher Religiosität. Man möchte sehr nahe an geweihten Gegenständen leben, das mag (wir begeben uns wieder auf ästhetisches Gebiet) ein Christusbild sein. In dem Bild könnte der Gläubige nun besondere Kraft lokalisieren, eine besonders gesättigte Form von Sein und Realität. Eine Wirkung kann davon ausgehen (so subjektiv das alles sein möge), die die Realität des rezipierenden Menschen verändert. Es ginge demnach nur in zweiter Linie um Repräsentation (der Christusfigur), primär jedoch um Präsenz, um Realpräsenz, um Vergegenwärtigung all dessen, was den spirituellen Kern dieser Religiosität ausmacht[6]. Solches geschieht, folgen wir Eliade, in einer tief verankerten Tradition menschlicher Religiosität, einer Konvention, der wir unterbewusst verpflichtet scheinen. Doch dieser Tendenz (wir verkürzen stark) stellt sich nun die christliche Dogmatik (abgesehen von ostkirchlich-orthodoxen Praktiken) entgegen. Die Art solcher Realpräsenz soll eben keinem Bildwerk zukommen. Das ist anderen Ereignisformen vorbehalten, in erster Linie müsste die Eucharistie genannt werden: hier soll sich die Seinsfülle und Wirkungskraft von Leib und Blut Christi ereignen und nicht in einer bildlichen Darstellung. Die Geschichte aller Bilderfragen ist Teil eines komplexen Kampfes um das religiöse Paradigma. Elementare und archaische Modalitäten kultischer Art werden dadurch jedoch nie ganz verdrängt, und Bilderverehrung jeglicher (auch profaner) Art sehnt sich immer wieder zu den magischen Ursprüngen zurück.

 

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Im 8. und 9. Jahrhundert herrschte in Byzanz bzw. im oströmischen Reich der sogenannte Bilderstreit, der in zahlreichen Abhandlungen ausführlich behandelt wird, so dass wir darauf nicht näher eingehen werden. Was uns interessiert, ist die Reaktion im Westen, die allerdings nicht nur als Reaktion zu bewerten ist, da die Problematik in der damaligen Christenheit virulent war. Von großem Interesse sind die Stellungnahmen im Karolingerreich[7], beginnend mit Karl dem Großen. Derselbe ließ um 790 eine Schrift aufsetzen und herausgeben unter dem Titel Opus Caroli Regis Contra Synodum, die als Libri Carolini in die geschichtlichen Annalen einging. Hier wurde die Bilderfrage auf eine Weise diskutiert, die den Extremen von Ikonoklasmus auf der einen sowie Ikonolatrie auf der anderen Seite aus dem Weg ging. In dieser Schrift wird die Funktion sakraler Bilder im Wesentlichen auf zwei Faktoren beschränkt: Bilder seien einerseits sinnvoll als Schmuck sakraler Räume, andererseits als Denkmal, d.h. sie dokumentieren die Heilstaten der Vergangenheit, rufen selbige immer wieder ins Gedächtnis. Wenn wir nun diese Bildfunktion mit Eliades zweiter These zur Hierophanie vergleichen, dann stellen wir eine Distanzierung fest. Was sich nicht ereignen soll, ist Realpräsenz, die totale Vergegenwärtigung des Heiligen, die, wie die Libri Carolini hervorheben, in anderer Form (wir haben schon auf die Eucharistie verwiesen) vollzogen wird. Bilder ästhetisieren das Heilsgeschehen der Gegenwart und verweisen auf dessen Geschichte, Bilder vermitteln nicht das göttliche Heil. Sie schaffen keine Präsenz (des Heiligen), aber auch ihr Repräsentationswert ist eingeschränkt. Die traditionelle Hierophanie im Sinne Eliades findet mit diesem Medium nicht statt, oder soll damit nicht stattfinden.

Theologisch gesehen kann das Bild die Polarität (physisch - metaphysisch) heiliger Existenzen nicht erfassen; aus der Denkperspektive Eliades ist es die Paradoxie des natürlichen, aber für heilig befundenen „Gegenstands“, die das Bild nicht bewältigt (da sie das Heilige nicht hinreichend zur Geltung bringen kann). Es bieten sich konkurrierende Medien an, denen das eher zugetraut wird. Vor allem muss hier das Wort oder die Schrift genannt werden. Es gibt - wenn wir den Libri Carolini folgen - kein heiliges Bild, aber ein heiliges Wort und eine heilige Schrift. Auch in anderer Hinsicht gilt das Primat der Schrift vor dem Bild. Als Beispiel wird das Bildnis einer schönen Frau erwähnt, die sowohl die heidnische Göttin Venus als auch die Gottesmutter Maria darstellen könnte. Entscheidend sei der Titel, was den Primat von Wort und Schrift (auch in profanen Bezirken) sinnfällig zum Ausdruck bringt.

Den Bildern wurde noch etwas anderes gegenübergestellt: dies geschah schon in den Auseinandersetzungen des byzantinischen Bilderstreits, dann in der karolingischen Reaktion, eine noch deutlichere Sprache als die Libri Carolini sprachen hier die Beschlüsse der Synode von Paris, die 825 stattfand: einer idolatrischen Haltung wird die Verehrung des Kreuzes entgegengehalten; Bilder seien mit dem Zeichen des Kreuzes nicht gleichzusetzen, „zumal die Menschheit durch das Kreuz erlöst wurde“[8]. Nun ist die Darstellung des Kreuzes auch bildlicher Art, eine visuelle Darstellung, die zeichentheoretisch alle Eigenschaften hat, welche ein Zeichen überhaupt besitzen kann: dasselbe ist ikonisch, indem es die antike Tötungsvorrichtung, bestehend aus einem Holzkreuz, auf äußerst stilisierte Weise abbildet, aber deshalb wird es nicht zum Zeichen des Christentums schlechthin: es muss - in semiotischer Terminologie - indexikalische und symbolische Eigenschaften annehmen. Das Kreuz wird zum Zeichen des Todes und der Auferstehung, das Kreuz vermag symbolisch (im ursprünglichen Wortsinn: „zusammenfügend“) das darzustellen, was im ikonischen Bild nicht gleichzeitig stattfindet: der Mensch Jesu und Christus als inkarnierte Gottheit. Man könnte zugespitzt sagen: das Kreuz vermag darzustellen, was Eliade das Paradoxon nennt: Ein Holzkreuz bleibt ein Holzkreuz und ist doch gleichzeitig ein Gebilde, in dem - aus der Sicht des Gläubigen - sich das Heilige in seiner ganzen Seinsfülle manifestiert.

 

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Wir sollten nochmals auf die Besonderheit des ästhetischen Raums eingehen. Ein heiliger Stein ist ein Stein wie viele andere, er ist und bleibt ein Stein. Für diejenigen aber, „denen sich ein Stein als heilig offenbart, wird seine unmittelbare Realität in eine übernatürliche Realität verwandelt“[9]. In einer bildlichen Darstellung „spricht“ dieser Stein nicht für sich, sondern er wird von einem Maler interpretiert. Dieser Maler muss eine Form finden, in der nicht nur das natürliche Sosein, sondern auch die Manifestation des Heiligen zum Ausdruck kommt. Anders gesagt: die Malerei stellt nicht nur den Stein dar, sondern auch dessen Rezeption durch den homo religiosus. Das ist die Transformation des Paradoxons in den ästhetischen Raum. Und daraus resultiert eine gewisse Unzulänglichkeit des ikonischen Abbildens, welchselbiges die beiden Seiten nur mit großer Mühe in ein Bild setzen kann. Die adäquate Darstellung des Paradoxons ruft nach alternativen, d.h. nicht-ikonischen Ausdrucksmitteln, zumindest nach einer Einbeziehung derselben. „Nicht-ikonisch“ könnte durch „anikonisch“ ersetzt werden. Das Kreuz könnte (zumindest primär) als anikonisches Zeichen gelten, aber auch jeder Buchstabe einer Schrift[10] (Kalligraphien nehmen in vielen Kulturen Teil an ästhetischer Wahrnehmung). Bisweilen wird die Bevorzugung anikonischer Zeichen einer bilderfeindlichen Haltung zugeordnet, eine These, die in zahlreichen Abhandlungen impliziert wird und abermals durch Vorurteile begründet ist. In der Menschheitsgeschichte lässt sich eben beides, die Neigung zur Entwicklung von Abbildern wie auch zur Entwicklung symbolischer Zeichen verifizieren. Sie koexistieren und schließen sich nicht aus (auch die ideologische Unterdrückung einer Seite tilgt diese nicht aus menschlichen Köpfen).

Wir machen uns auf die Suche nach kunsthistorischen Zeugnissen einer mediatorischen Haltung, die der anthropologischen Koexistenz anikonischer und ikonischer Darstellungsmodi Genüge tut und beide Kategorien in ein Verhältnis setzt. Dabei stoßen wir auf die um Vermittlung bemühten karolingischen Statements, von denen schon die Rede war. Die Kunst, die ich damit assoziiere, entstand aber nicht nur im fränkischen Reich, sondern in einem erweiterten Kulturraum. Viele Werke stammen aus dem heutigen Irland, einer Insel, die bekanntlich sehr früh (und unblutig) christianisiert wurde und die ein Zentrum für die Missionierung Nord- und Osteuropas darstellte.

Zum einen sei auf die grandiose Kultur der Buchmalerei verwiesen (nehmen wir als Beispiel das Book of Kells, würden darüber hinaus aber auch im Kernland der Franken fündig werden), die Ineinanderverwobenheit von Bild und Buchstabe, eine bildliche Phantasie im Dienste der (heiligen) Schrift. Hier ist durch die Eindrücklichkeit nicht selten ein hohes Maß an realer Präsenz erreicht. Und es ist immer ein Zusammenspiel von ikonischen und anikonischen Elementen (letztere nicht nur im Buchstaben, sondern in vielen Ornamenten, die eben nicht nur Schmuck sind, sondern zur Gestaltung von Seinsfülle beitragen).

Zum andern verweise ich auf die sogenannten Hochkreuze, die sich auf den britischen Inseln und vor allem im heutigen Irland befinden (nehmen wir als Beispiel die Hochkreuze im Kloster Clonmacnoise oder auf dem Friedhof von Monasterboice). Hier ist das umgesetzt, was in den karolingischen Gutachten postuliert wurde: das Kreuz steht da als Objekt der Verehrung; und dieses Kreuz enthält bildliche Darstellungen anikonischer, aber eben auch ikonischer Art: bildliche Erzählungen, visualisierte Predigten über die geschichtlichen Taten heiliger Personen und das darin manifestierte göttliche Wirken. Das Kreuz und das (figurativ-ikonische) Bild werden hier nicht antagonistisch verstanden (in byzantinischen Streitigkeiten war das der Fall), sondern in einem theologisch sinnvollen Zusammenhang. Im Bild ereignet sich nicht die ganze Wirkung und transzendentale Seinsqualität, wie sie die zweite These von Eliade postuliert. Anders gesagt: das archetypische Verhältnis zu heiligen Orten und Gegenständen wird nicht 1:1 auf ikonische Darstellungen übertragen. Es entsteht vielmehr ein Spannungsverhältnis verschiedener Manifestationen, die dadurch aber jeweils nichts an Kraft einbüßen. Das Bild ist dabei - auch in der Buchmalerei - wirklich eingebunden, aber deshalb in seiner Ausdruckskraft keinesfalls beschränkt.

Welch eine Faszination geht von den großen Kreuzen aus, welche Anschaulichkeit, wenn man in ihre Nähe tritt, besitzen die reliefierten Figuren und Symbole, und Ähnliches geschieht mit Schrift und Bild auf den Initialseiten der Evangeliare und anderer Handschriften. Mit verschiedenen Darstellungsmitteln wird hier die Präsenz des Heiligen zur Geltung gebracht, ohne dass eines den Alleinvertretungs- oder Alleinvermittlungsanspruch besäße. Anikonische Elemente tragen jedenfalls Wesentliches zur visuellen Stärke solcher Gestaltung bei.

 

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Wir haben es schon angedeutet, dass Eliade eine „ununterbrochene Kontinuität“ erkennt von der elementarsten bis zur höchsten Hierophanie. Auf hochkultureller Seite ist dieses Spektrum nicht auf das Christentum, auch nicht auf die drei großen monotheistischen Religionen beschränkt: ich denke vor allem an den Buddhismus und an die Allgegenwart der Buddhafigur. Dies war nicht immer so. Am Anfang des Buddhismus, nach dem Tod des historischen Buddha (der ins 5. oder 4. Jh. vor Chr. datiert wird) gab es lange Zeit keine Darstellung seiner Person und damit keine Verehrung, in deren Mittelpunkt die körperliche Repräsentation des Religionsstifters gestanden hätte. Eine gewisse Parallelität zum frühen Christentum ist evident. Wie sollte man die göttliche Seite Christi darstellen; ist nicht das Bildnis Christi eine Reduktion seiner doppelten Natur auf den menschlichen Bestandteil? Bei Buddha gibt es durchaus vergleichbare Argumente. Allein der Begriff des Buddha bezeichnet nicht das menschliche Individuum an sich, sondern den erlösten Menschen, dessen Erlösung schließlich seine Erfüllung findet, indem er nach dem Tod ins sogenannte Nirvana eingeht. Dieses Nirvana wird als bild-, als form- oder als namenlos bezeichnet. In der westlichen Welt wird Nirvana umgangssprachlich meist als Lokalisierung des Nichtseienden und Nichtseins gewertet, was freilich nicht dem östlichen Denken im Allgemeinen und dem buddhistischen im Besonderen entspricht. Interessant ist hierbei, dass es in der alteuropäischen Kultur wie auch in alten buddhistischen Traditionen eine Lehre von fünf Elementen gab (mit gewissen Varianten), eigentlich von vier Elementen, denen schließlich ein fünftes (die „Quintessenz“) hinzugefügt wurde. Es sind dies Erde, Wasser, Feuer und Luft (auch in ähnlicher Begrifflichkeit). Im fünften, dem hinzugefügten Element unterscheidet sich jedoch die europäische von der buddhistisch-östlichen Denkweise. Im Westen ist es der sogenannte Äther, ein Stoff, dessen Eigenschaften Materielles und Geistiges verknüpft, ein Stoff, der eigentlich das Basiselement darstellt, indem er den Weiten des Weltalls Substanz gibt und damit eine Leere verhindert, die nicht sein darf, weil sie bestimmten Grundvorstellungen widersprechen würde. Ganz anders ist es mit dem fünften Element bestellt, das wir im Buddhismus antreffen: hier wird es die Leere genannt oder der Raum oder der leere Raum. Ganz im Gegensatz zum europäischen horror vacui (die Leere bereitet Angst) gehört hier die Leere zu einem Genesis-Prinzip, als Entstehungsgrundlage alles Seienden. Es ist interessant, wenn wir die Vorstellungswelten gegenüberstellen: der leere Raum könnte für den Europäer sinnbildlich das Nichts repräsentieren, während der Buddhist ihn als Geburtsstätte all dessen, was ist, versteht; der leere Raum mag nichts enthalten, aber er ist, d.h. besitzt Seinsqualitäten.

Aus solcher Perspektive lässt sich das sogenannte Nirvana besser verstehen: es ist nicht nur das Nicht-Sein, aber eben auch nicht die Seinsform unserer physischen Welt. Es ist auch kein Jenseits im Sinne einer Gegenwelt; es ist vielmehr die Aufhebung unserer Kategorien, die Aufhebung unserer Vorstellungsprinzipien, und damit auch die Aufhebung eines vorherrschenden Prinzips, nämlich des binären Denkens: ja oder nein, Sein oder Nicht-Sein. Nirvana könnte als dialektische Aufhebung solcher Widersprüche gelten (was sich wiederum auf eine sehr europäische Formel stützt). In diesem Sinne ist die Bild-, Form- und Sprachlosigkeit nicht die letztgültige Beschreibung dieses Zustandes, da die Begriffe als bloße Negation gewertet werden könnten, wo es sich doch um eine Fusion handelt von Zuständen, die sich vorher gegenseitig ausschlossen.

Daraus ließen sich nun Konsequenzen ziehen für eine notwendige Polarität buddhistischer Ästhetik. Dietrich Seckel unternimmt in seiner Abhandlung Jenseits des Bildes. Anikonische Symbolik in der buddhistischen Kunst den Versuch, das Zusammenspiel ikonischer und anikonischer Elemente im späteren Buddhismus dementsprechend zu erklären, und kommt dabei zu dem Schluss: „In dieser Dialektik oder Paradoxie von Bildlichkeit und Bildlosigkeit steht die gesamte buddhistische Kunst in der Schwebe“[11]. Da haben sich jene alten Symbole[12] etabliert wie das „Rad der Lehre“ oder der Fußabdruck, vor allem jedoch die Form des Stupa in Bauwerken und ihrer Abbildung: im Zentrum buddhistischer Architektonik steht dieses Monument, das aus prähistorischen Grabhügeln hervorgegangen und mit heiligen Requisiten sowie anderen unsichtbaren Gegenständen ausgestattet ist, nicht bloß Denkmal, sondern Nirvana-Symbol, vielleicht das bedeutendste des Buddhismus überhaupt.

Was aber heutzutage an heiligen Stätten ins Auge sticht, ist die andere Seite buddhistischer Visualisierung, es sind dominante Statuen des oft leibesfülligen Buddha. Man kann sich dem Eindruck der Großplastiken nicht entziehen, die einen liegenden, entweder schlafenden oder auch schon verstorbenen, also ins Nirvana eingegangenen Lehrmeister zeigen. Ist hier die Ikonographie zwischen den ikonischen und anikonischen Polen noch „in der Schwebe“ oder erweist sich die Paradoxie nicht doch als offener Widerspruch zum religiösen Dogma (und weniger als „Belebung“ innerhalb desselben)? Während der Buddhismus im Nirvana (und damit dem Ziel des Glaubens) die Auflösung aller Widersprüche postuliert, kommen dieselben gleichwohl in der bildlichen Darstellung zum Vorschein. Es ist wieder die archetypische Paradoxie eines religiösen Gegenstands, der Heiliges manifestiert und doch Teil hat an unserer profanen Welt, und es scheint so, als ob menschliche Vorstellungswelt und -kraft nicht imstande wäre, solche Widersprüche aufzulösen, als bliebe ihr das Nirvana verschlossen.

 

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Im Buddhismus gab es keinen Bilderstreit. Tatsache ist jedoch, dass sich die religiöse Kunst hier nach einer rein anikonischen Frühzeit geändert hat, und es stellt sich die Frage, ob sich dieser Wandel nicht in schriftlicher Legitimation niederschlug. Das interessanteste Dokument - soweit uns bekannt - ist eine alte Legende, die von dem Patriarchen, Heiligen oder Arhat (eine Art Buddha zweiten Grades) Upagupta aus Mathura handelt:

Upaguptas Predigten werden ständig durch theatralische Ablenkungsmanöver von Mara, dem Herrn der Sinnenwelt, bösen Gott und buddhistischen „Teufel“, gestört. Schließlich wird es Upagupta zu viel und er bindet einen Kranz von drei Leichen an Haupt und Nacken des Bösen fest. Weder allein noch mit Hilfe anderer Götter gelingt es diesem, sich davon zu befreien. Nur Upagupta selbst ist dazu imstande, und Mara zeigt sich fasziniert von der Kraft, die von Buddha ausgehen muss. Upagupta darf nun einen Wunsch äußern: er möchte die leibliche Erscheinung des Buddha kennenlernen. Mara lässt sich von Upagupta versprechen, dass dieser ihm, wenn er in Gestalt des Buddha erscheine, keine Verehrung bezeugen werde, tritt in einen Wald ein, verwandelt sich (als würde eine Frau sich hinter einem Vorhang aufs prächtigste schmücken) und kommt in Gestalt des Buddha, von Schülern umgeben, aus dem Wald heraus. Eine goldfarbige Glorie umstrahlt wie Sonnenglanz seinen Körper. Upagupta schaut in innerer Erregung die Gestalt des Buddha vor sich, vertieft sich immer mehr in die Betrachtung, glaubt schließlich den Buddha selbst vor sich zu sehen und fällt dem Mara (wie ein Baum, dessen Wurzel gebrochen ist) zu Füßen. Höchst bestürzt erinnert Mara ihn an ihre Abmachung. Upagupta erhebt sich und erklärt ihm, er habe sich nicht vor ihm verbeugt. Auf die erstaunte Frage des Mara, wie er dies sagen könne, erwidert Upagupta mit leiser Stimme: Ich habe mich nicht vor dir verbeugt und bin auch nicht von der Abmachung abgewichen. Es ist, wie wenn man aus Lehm einen Buddha bildet, wenn man ihn verehrt, aber nur an den Buddha und nicht an den Lehm denkt. So habe ich, als ich dich jetzt sah, nur an den Buddha gedacht und nicht an dich, nicht an Mara[13].

Hier wird offensichtlich die Legitimation für die Errichtung von Buddhafiguren verhandelt. Man muss wissen, dass der genannte Ort, Mathura in Nordindien, als Zentrum buddhistischer Kunst bedeutsam war, zu Beginn des ersten Jahrtausends nach Christus entstanden hier einige der frühesten Buddha-Bildnisse[14]. Die Legitimationsstrategie, wie sie am Schluss der Legende Upagupta in den Mund gelegt wird, erinnert uns Europäer an ganz ähnliche Worte in einer ganz anderen Kultur. So lauten apologetische Reden zur Ikonenverehrung in Byzanz und später in den orthodoxen Kirchen. Es ist die Doktrin, das Urbild im Abbild zu verehren und damit letzterem eine gewisse Repräsentanz wie auch Präsenz heiliger Personen zuzugestehen.

In der buddhistischen Legende wird solche Verteidigungsrede jedoch stark ironisiert. Das Spiel mit Mara erweist sich als Satire, die die Verehrung von Statuen in einem hypertheatralischen Rampenlicht erscheinen lässt; die fragwürdige Buddha-Show könnte als Lehrstück gegen fehlgeleitete Empathie interpretiert werden. Kommt hier die milde Form eines buddhistischen „Ikonoklasmus“ zum Ausdruck oder ist die Ironie Teil einer dialektischen Legitimationsstrategie von Bilderverehrern (möglicherweise vor dem Hintergrund hinduistischer Götterlegenden)?

 

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Aus dogmatischer Sicht ist Ikonodulie im Buddhismus noch kritischer zu sehen als im Falle christlicher Inkarnation[15]. Doch offensichtlich halten Christen wie Buddhisten an einer Paradoxie fest, die nicht in eigener Dogmatik oder religiöser Überzeugung begründet ist. Widersprüche werden in Kauf genommen und sind teilweise nicht auflösbar. Auch in hochkulturellen Gesellschaften - obwohl oder gerade weil hier ein hoher Grad an Abstraktion entwickelt wird - verzichtet der Mensch nicht auf ikonische Zeichensysteme, die schließlich auf allen geistigen Ebenen zur Darstellung kommen. Die Erklärung kann nur in anthropologischen Gegebenheiten (möglicherweise in der Archetypik menschlichen Denkens und Fühlens) liegen und sollte die Bedeutung kultischer oder quasi-kultischer Abbilder aus allen Epochen - seien es Fruchtbarkeitsidole, orthodoxe Ikonen, Buddhastatuen oder Che-Guevara-Poster - in einen Zusammenhang bringen. In gewisser Weise kehrt die menschliche Imagination immer wieder in die Erscheinungswelt zurück. Auch mancher Versuch hoher (von hoher Spiritualität gekennzeichneter) Realpräsenz bezieht die Abbildung realer „Gegenstände“ mit ein. Die ganze Natur - sagt Eliade - könne sich „als kosmische Sakralität offenbaren“[16]. Vielleicht ist die große Idee im Kopf des Menschen ein Megaparadoxon, dass nämlich alles, was ist und mit den Sinnen erfasst werden kann, das all dies hierophanisch sei, also nicht nur für sich selbst existiere, sondern Heiligkeit zum Ausdruck bringe, und dass wir, homines sapientes, dabei im Zentrum stünden. Abbilder würden dem Menschen dazu dienen, sich einer potentiellen Heiligkeit von allem, was scheinbar nur profan ist, zu vergewissern, letztlich auch von sich selbst. Es wäre ein wahrlich paradoxes Sinnprojekt, das der menschliche Geist ersonnen hat, das religiöse Wurzeln hat, aber authentische Religiosität auch gefährdet.

 

Version 2016


[1] In Teil II setze ich den Gedankengang von Teil I fort und stelle dabei die interreligiöse Relevanz des Themas heraus; das geschieht auf eine skizzenhafte Weise, mehr Anspielung als Ausführung, jeden Leser/ jede Leserin herausfordernd, er/ sie möge den Text mit jeweils eigener Substanz anreichern.

[2] Es gibt verschiedene Erklärungsversuche, die zu kurz greifen, z.B.: „Die Bilderfeindlichkeit der frühen Kirche ist nichts anderes als eine Spielart des Monophysitismus“ (Claudia List/ Wilhelm Blum, Sachwörterbuch zur Kunst des Mittelalters. Grundlagen und Erscheinungsformen, Belser, Stuttgart/ Zürich 1996, S. 59). Hierbei handelt es sich (leider) um eine wissenschaftlich „hoffähige“ Aussage, die den Autoren des Lexikons nicht anzulasten ist. - Das Problem der Bilderfrage ist nicht gelöst und muss in aller Widersprüchlichkeit dargestellt werden. In seinem Aufsatz Die Bilderfrage als theologisches Problem der alten Kirche kommt Hans Freiherr von Campenhausen zu dem Schluss, dass das Christentum aufgrund der Inkarnation Christi und der daraus resultierenden Neubewertung des Menschseins das jüdische Bilderverbot sinnvollerweise aufgehoben habe, „obschon es den überweltlichen, ‚transzendenten‘ Gottesgedanken des Alten Testaments ohne Einschränkung beibehielt. Welche Folgen seine neue Einstellung zum Göttlichen nicht nur für die Frage des Gottesbildes und des religiösen Bildes, sondern auch für die Fragen der Erkenntnis, der Kunst und der Schönheit überhaupt gewinnen konnte, hat sich die alte Kirche jedoch kaum mehr klar gemacht“ (Hans Freiherr von Campenhausen in: Günter Howe (Hg.), Das Gottesbild im Abendland, Eckart, Witten/ Berlin 1959, S. 103). Was bleibt, sind Fragen, die selten gestellt werden und deren Beantwortung uns bis heute große Mühe bereitet.

[3] Mircea Eliade, Das Heilige und das Profane. Das Wesen des Religiösen, Rowohlt, Hamburg 1957, S. 8 f.

[4] Ebenda, S. 9.

[5] Ebenda, S. 8.

[6] Zum Verhältnis von Repräsentation und Präsenz siehe auf dieser Website auch: J. Noller, Wie „präsent“ sind ästhetische Gefühle?

[7] Siehe z.B. Walter Delius, Die Bilderfrage im Karolingerreich (= phil. diss., Halle-Wittenberg), Halle 1928; Gert Haendler, Epochen karolingischer Theologie. Eine Untersuchung über die karolingischen Gutachten zum byzantinischen Bilderstreit, Evangelische Verlagsanstalt, Berlin 1958; Pascal Weitmann, Sukzession und Gegenwart. Zu theoretischen Äußerungen über bildende Künste und Musik von Basileios bis Hrabanus Maurus, Reichert, Wiesbaden 1997, passim; Hans Belting, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, C.H. Beck, München 2000, passim.

[8] Belting, S. 594.

[9] Eliade, S. 9.

[10] Vgl. Hans Belting, Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen, C.H. Beck, München 2005, darin: Die Zeichentheorie des Westens und die Teilung Europas, S. 150 ff.

[11] Dietrich Seckel, Jenseits des Bildes. Anikonische Symbolik in der buddhistischen Kunst (= Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Jg. 1976, Abh. 2), Carl Winter, Heidelberg 1976, S. 66.

[12] Siehe Willibald Kirfel, Symbolik des Buddhismus, sowie Otto Karow, Symbolik des Buddhismus. Tafelband (= Symbolik der Religionen, Bd. V + XXII), Anton Hiersemann, Stuttgart 1959 + 1989.

[13] Ernst Waldschmidt, Gandhara - Kutscha - Turfan. Eine Einführung in die frühmittelalterliche Kunst Zentralasiens, Klinkhardt & Biermann, Leipzig 1925, S. 13 f.; Waldschmidts Erzählung wird hier verkürzt, teilweise paraphrasiert wiedergegeben. Siehe auch Helmut Uhlig, Das Bild des Buddha, Safari, Berlin 1979, S. 55, sowie: John S. Strong, The legend and cult of Upagupta. Sanskrit Buddhism in north India and southeast Asia, Princeton University Press, Princeton 1992, chapter 5: Upagupta and Mara: Bhakti and the Buddha body, S. 93 ff.

[14] Siehe auch Damien Keown, Lexikon des Buddhismus, übersetzt und bearbeitet von Karl-Heinz Golzio, Patmos, Düsseldorf 2005, S. 157.

[15] Wie bei der christlichen Bilderfrage wird die Problematik in der wissenschaftlichen Literatur auch hier oft nicht erkannt, ein Beispiel: „[..] the Buddha was also ‚present‘ in Buddhist aniconic art. This emphasis upon the Buddha is a direct continuation and intensification of the auspiciousness that characterized Buddhist cultic sites from an early time. Therefore, it was not an innovation of motive for the Buddhists when they started to make images of the Buddha. He was already there“ (Klemens Karlsson, Face to Face with the absent Buddha. The formation of Buddhist aniconic art [= phil. diss.], Universität Uppsala 1999, S. 190).

[16] Eliade, S. 9.